41. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft

Universität Bremen, 06. – 08. März 2019

Arbeitsgruppen

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AG 9: Koloniale und post-koloniale Toponomastik

Arbeitsgruppen-Koordination

Matthias Schulz (Universität Würzburg)
matth.schulz@uni-wuerzburg.de
Doris Stolberg (IDS Mannheim)
stolberg@ids-mannheim.de

Beschreibung:

Toponymische (Um-)Benennungen waren Teil des Sprachhandelns der Kolonisatoren sowohl im kolonisierten Raum als auch in den sog. kolonialen Metropolen. Diese sprachlichen Praktiken werden seit einigen Jahren in koloniallinguistischer und onomastischer Perspektive eingehend erforscht. Dazu wurden in Fallstudien zur Produktion kolonial motivierter Toponyme und zu (historischen) Benennungs- und Umbenennungspraktiken Nameninventare erhoben, analysiert und verglichen. In solchen Zusammenhängen wurden auch Fragen zu strukturellen und funktionalen Besonderheiten (oder Übereinstimmungen) zwischen Benennungspraktiken im kolonisierten Raum und Benennungspraktiken in den sog. koloniale Metropolen sowie nach dem Vorhandensein übergreifender sprachlicher Strukturen bei Benennungs- und Umbenennungspraktiken unterschiedlicher europäischer Kolonialmächte aufgeworfen. Der erreichte Forschungsstand soll skizziert werden. Ein Teil der Vorträge der AG schließt unmittelbar daran an und kann ihn erweitern.

Neben sprachstrukturellen Fragestellungen geraten aktuell auch solche zur Repräsentation, zur Verwendung und zu den semantischen Strukturen kolonialer Mikro- und Makrotoponyme in Texten und Diskursen in den Blick. Neben Benennungen werden dabei erstmals auch Umbenennungen als musterhafte, system- und diskursanalytisch zu untersuchende onymische Einheiten erfasst. Analysen von sprachlichen Benennungs- wie auch Umbenennungsprodukten werfen dabei auch Fragen nach sprachlicher Wahrnehmung und sprachlichen Einstellungen auf. Gesprächsanalytische Verfahren erweitern das Spektrum koloniallinguistischer Untersuchungsmethoden. Sie können Befunde zur Identifizierbarkeit und zur sprachlichen Bewertung onomastischer Einheiten als koloniale Toponyme aus zeitlicher Distanz heraus erbringen, usuelle Argumentationsmuster aufdecken und womöglich auch strukturelle Hinweise zur Wahrnehmung und Bewertung endonymischer und exonymischer Einheiten und der Priorisierung bestimmter Typen von Modifikatoren und Klassifikatoren liefern. An diese Forschungsbereiche schließen weitere Beiträge der AG an.

Die aktuelle Kolonialtoponomastik kann sich in der erreichten Vielfalt methodischer Zugriffe damit der Frage nähern, welche Rolle koloniale Toponyme (als Benennungen und Umbenennungen) bei sprachlicher Kolonisierung, aber womöglich auch bei angestrebten sprachlichen Dekolonisierungsprozessen einnehmen. Die AG soll diese Fragestellungen datenbasiert und einzelsprachübergreifend erörtern.